Anthologie
Herausgeber: Creativo – Initiativgruppe für Literatur, Wissenschaft und Kunst

Taschenbuch
Erscheinungsjahr: 2021
168 Seiten
Preis: 9,80 €
ISBN: 978-3-949150-05-0

Verlag: Fabuloso Verlag, Bilshausen

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Frostige Spuren – Creativo Anthologie
Spuren – wir finden sie in allen Bereichen des Lebens. Oft wandeln wir auf denen, die andere hinterlassen haben. Aus Gewohnheit, Bequemlichkeit oder aus Überzeugung stecken wir in festgefahrenen Spuren und meinen, sie nicht verlassen zu können. Es erfordert Mut, neue Wege zu gehen – im Besonderen, wenn sie abseits der gewohnten Spuren zu liegen scheinen. Aber vertraute Spuren geben auch Halt und verhindern, dass wir uns in den Wirren des Lebens verlieren. Spuren führen uns zu zahlreichen Abgründen oder Höhen des Daseins. Folgen Sie uns für ein paar fesselnde und/oder entspannte Momente auf unseren „Frostige Spuren“. Sie sind vielfältig in ihrer Art und in ihren Zielen.

Aus grauer Vorzeit kommend, weisen sie uns verschiedene Wege in die Zukunft. Wir haben die Wahl, ihnen zu folgen oder neue zu legen.
Denn auch wir hinterlassen Spuren – sichtbar für die Menschen, die jetzt mit uns leben, ebenso wie für kommende Generationen. Manche werden sich als falsch erweisen, andere als richtig – immer relativ gesehen, aus der Perspektive des Betrachters heraus.
In diesem Buch haben sich die Autorinnen und Autoren der Creativo mit Spuren der frostigen Art beschäftigt. Unsere Geschichten und Gedichte zeigen zum Beispiel Spuren menschlicher Abgründe auf und beleuchten die Frostigkeit ebenso wie den Humor, den man in Spuren finden kann.

Melanie Buhl

Es wirkten mit: Melanie Buhl, Maria Göthling, Gertrud Keitel, Barbara Merten, Dr. Walter Kiefl, Manfred Piepiorka, Marianne Stegmaier, D.W. Grobe, Michaela Schreier, Gudrun Strüber.
Das Coverfoto ist von Melanie Buhl: Die Rhumequelle im Winter.

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Auftragstötung
von Manfred Piepiorka

Von Hause aus kann Kolja Schawitzki der oft zitierte Herr Mustermann sein. Unauffällig und nicht aus der Masse herausragend. Sein Lebenslauf bietet ebenfalls keine besonderen Höhepunkte. Abgesehen von seinem erfolgreichen Schulabschluss und die bestandene Verwaltungsschule. Von den Kollegen wird er akzeptiert. Die Vorgesetzten haben nichts an ihm oder seinen Arbeiten auszusetzen. Seit Antritt des Dienstes vor Jahren fühlt sich Kolja nicht dazu berufen, die Karriereleiter zu erklimmen. Nein, er ist mit seinem Sachbearbeiterposten als Verwaltungsfachangestellter im öffentlichen Dienst seiner Heimatstadt vollauf zufrieden. Privat sieht es nicht weniger unspektakulär aus. Herr Schawitzki ist mehr als zwei Jahrzehnte verheiratet. Die zwei Kinder gehen noch zur Schule. Die Familie bewohnt ein Eigenheim in einer Reihenhaussiedlung. Der stets gepflegte Vorgarten ist akkurat strukturiert und nur spärlich bepflanzt. Das Mittelklasseauto unterm Carport bietet einen gewienerten Anblick, als würde es nur an staubfreien Sonnentagen genutzt. Am heutigen Nachmittag, so gegen 17:00 Uhr erhält Kolja den mündlich übermittelten Auftrag. Die Auftraggeberin verlangte unbedingt eine Erfolgsnachricht. Eigentlich verspürt er in der momentanen Winterzeit keinerlei Interesse daran, solch einen Auftrag anzunehmen. Aber … er sieht keine andere Wahl. Also beginnt er mit den Vorbereitungen. Es dunkelt bereits, als der zum Töten beauftragte Mann aufbricht, um zu vollbringen, was von ihm verlangt wird. Sein Blick auf das Thermometer am Hauseingang erfreut ihn absolut nicht. Immerhin Minus 11o C. Hoffentlich braucht er nicht lange warten, denkt Kolja ergeben. Mit einem Ruck schultert er seinen alltäglichen Rucksack, in dem er seine für die Erledigung des Auftrags erforderlichen Werkzeuge verstaut. Der Mann hat vor, den Tatort zu Fuß aufzusuchen. Ist ja auch nicht weit. Wenn es wegen der Straßen- und Wegeverhältnissen keine größeren Schwierigkeiten gibt, kann Kolja Schawitzki in etwas mehr als 30 Minuten eintreffen. Und dann heißt es: Erstens, den geeigneten Platz vor Ort aufsuchen und ihn entsprechend herrichten. Zweitens, dem Opfer letztlich auflauern. Dann allerdings muss es schnell gehen. Es gilt, erst gefangen nehmen und umgehend töten. Nicht wirklich etwas Besonderes für Kolja. Er erlebte schon einige solcher Aktionen. Nur äußerst selten musste er einen neuen Versuch starten. Der Mehrfachtäter ist in der Hinsicht wirklich erfolgsverwöhnt. Dieser Auftrag …. Den zu Erledigenden, den kennt er gar nicht persönlich. Er ist ihm bisher noch nie, Auge in Auge gegenüberstehend, begegnet. Allerdings weiß er, wie das Opfer aussieht. Zudem ist ihm bekannt, wo es sich meistens aufhält. Trotzdem verspricht die Sache eine längere Aktion zu werden. Kolja hat so eine Vorahnung. Und die ist berechtigt. Seit Stunden wartet er nun schon am erfolgversprechendsten Ort seines Vorhabens. Bisher ist das Opfer noch nicht aufgetaucht. Der Mond erhellt die Umgebung mit mystischem silbernem Licht. Die Büsche etwas weiter hinten schirmen den leichten Wind nur notdürftig ab. Zum Glück ist der Himmel frei und es fällt kein Schnee. Dennoch, die Kälte steckt dem Lauernden bereits in allen Gliedern. Etwas zum Wärmen oder jedenfalls etwas Warmes zu trinken, das wäre absolut hilfreich, die Situation zu erleichtern. Aber damit deckte sich der zum Töten bereite Mann nicht ein. Ihm lag und liegt nur an der Erledigung des angenommenen Auftrags. Kolja weiß genau, wie er vorgehen will. Mit seinen Augen versucht er, jede kleinste Bewegung wahrzunehmen. Ein sehr kräftiges Messer steckt griffbereit seitlich im Stiefelschaft des rechten Winterstiefels. Endlich regt sich etwas. Der zum Töten entschlossene Mann macht sich bereit und spannt seine Muskeln an. Das Auflauern hat sich offensichtlich gelohnt. Mit Wucht wirft Kolja wenige Minuten später sein Opfer auf die eisige Fläche, auf der er steht. Ein flinker Griff zum Messer und ein beherzter Schlag hinter den Kopf des am Boden Liegenden. Die Bewegungen des Gefangenen lassen umgehend nach. Für jegliche Gegenwehr ist es nun eh zu spät. Mit relativ wenigen Gefühlen des Bedauerns setzt der Täter das im Mondlicht blinkende Messer an und sticht zielsicher und brutal zu. Er weiß, dieser Stich wird das Herz des Opfers treffen. Es ist keine weitere Tätigkeit erforderlich, um das Leben auszulöschen. Der wieder einmal erfolgreiche Mann räumt seine Gerätschaften und alles, was auf ihn und die vollendete Tat hinweist, zusammen. Mit selbstsicheren Schritten begibt er sich auf den Heimweg. Kolja Schawitzki ist froh, endlich nach einem strammen Fußmarsch seine warme Wohnung betreten zu können. Die Auftraggeberin wartet dort bereits. Kolja legt ein Geschirrtuch auf den Tisch und entnimmt einem Beutel den Beweis für seine Auftragserledigung heraus. Augenblicke später glänzen die Augen von Koljas Ehefrau, genauso hell wie die Schuppen des prächtigen Zanders, den ihr Mann erbeutet hat.