Anthologie
Herausgeber: Verein „Respekt für Dich“ Autoren gegen Gewalt

Taschenbuch
Erscheinungsjahr: 2014
260 Seiten
Preis: 18,90 €
ISBN:978-3950386264

Verlag: Karina Verlag, Wien

 

An dieser Buchreihe haben sich 143 Autoren aus ganz Europa beteiligt. Es ist ein gemeinschaftlicher Weg gegen Gewalt. Der Erlös fließt in die Gewaltopferhilfe und unterstützt die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser und „GewaltfreiLeben“. In diesem Band finden sich Kurzgeschichten aus der ganzen Welt. Schöne, traurige, kurzweilige, welche zum Nachdenken, witzige und Einfühlsame. Ein Werk, das für gute Unterhaltung und Entspannung sorgt.

Von mir gibt es in dieser Anthologie die gekürzte Fassung des 5. Kapitels aus dem Roman „Melodie der Ewigkeit“

 

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Marleen –
Erinnerung an einen Apfelbaum

Die kleine Marleen sprang mit ihrer großen orangegelben Gießkanne durch den Garten. Wenn die Kanne ganz voll war, konnte Marleen sie fast nicht tragen. Immer wieder pladderte das Wasser heraus und ihre Füße in den roten Sandalen waren schon ganz nass. Die bunten Söckchen klebten an den Zehen, aber das machte Marleen gar nichts aus. Ja, sie merkte nicht einmal richtig, wie nass sie schon war. Wichtig war ihr nur, dass sie helfen konnte. Sie goss die Blumen im Beet und die Büsche, welche den Rasen vom Gemüsegarten trennten. Manchmal wässerte sie auch die Brennnesseln mit ihren zarten weißen Blüten, die immer wieder am Zaun zum Nachbargarten wucherten. Am ausgiebigsten bedachte sie aber stets den alten Apfelbaum. Er stand mitten im gepflegten Rasen. Seine ausladenden Äste wiegten sich im Wind. Manchmal, wenn eine kleine Apfelblüte herabfiel, hob Marleen sie auf und schnupperte daran. Wie gut das duftete.
Heute lief sie mit ihrer Gießkanne immer im Kreis um den Baum herum. Die Kanne hatte eine Brause vorn auf der Öffnung, damit konnte man prima Regen machen. Während die Kanne immer leerer wurde, sang Marleen die ganze Zeit ein Lied vor sich hin. Es hatte nur ein einziges Wort, aber die Melodie wechselte mit jeder Runde, die sie um den Baum drehte. Es klang mal lustig und beschwingt und dann wieder traurig und nachdenklich. Manchmal wurde sie ganz leise und manchmal klang die ganze Kraft ihrer jungen Stimme in der Melodie mit.

„Apfelbäumchen, Apfelbäumchen, Apfelbäumchen …“

Die Kanne war nun leer. Sie hüpfte zum Wasserhahn, der am Regenwassertank angeschlossen war, und füllte die Kanne erneut. Sie wollte gerade wieder zum Apfelbaum laufen, als Oma Elisa sie rief: „Marleen, der Baum hat genug Wasser! Komm lieber hierher und gieß die jungen Erbsen und die neuen Erdbeerpflanzen!“
Marleen lief den Weg hinauf zu ihrer Oma. Ganz bedächtig goss sie nun die frisch gepflanzten kleinen Blättchen.
„Ist es so richtig, Oma?“
„Ja, so ist es gut. Wenn du damit fertig bist, kannst du mir noch die Harke aus dem Schuppen holen.“
Marleen nickte und machte sich auf den Weg zum Schuppen. Dort hingen an der Wand die Gartengeräte – schön aufgereiht. Marleen schnappte sich die grüne Harke und lief zurück zu Oma Elisa.
„Hier, Oma, die Harke!“
„Danke, Marleen.“ Omas Blick fiel plötzlich auf Marleens Füße. „Ja, wie siehst du denn aus? Hast du dich selbst gegossen? Deine Schuhe und die Füße – es ist ja alles ganz nass! Lauf schnell rein und zieh dir trockene Socken an. Du weißt ja, wo die Sachen liegen. Die Schuhe kannst du in die Sonne stellen. Die werden bald wieder trocken sein.“
„Ooch, ich wollte dir doch noch helfen“, maulte Marleen. …