Es ist eine sehr beeindruckende Trilogie, die Philip Pullman hier geschaffen hat. Oft wird sie erwähnt, wenn es um den Harry Potter-Hype geht und dass sie ein paar Jahre vor J.K. Rowlings Bestseller erschienen ist. Ich liebe die Harry Potter Reihe aber sie mit His Dark Materials zu vergleichen, passt meiner Meinung nach nicht. Gut – beide spielen in England. Beide spielen in Parallelwelten, aber dann hört die Ähnlichkeit schon auf.

Ich habe 2007 den ersten Teil Der goldene Kompass im Kino gesehen. Trotz des merkwürdig offenen Endes hat mir der Film gefallen. Vermutlich habe ich damals schon geahnt, was in dieser Geschichte für ein brisanter Inhalt steckt. Als ich erfuhr, dass es nur der erste von drei Teilen ist, habe ich lange auf die restlichen Filme gewartet. Heute bin ich froh, dass es nicht in der gleichen Weise fortgesetzt wurde, wie es in der Verfilmung mit Nicole Kidman und Dakota Blue Richards begann. Ich mag den Film nach wie vor, aber dem Buch wird er absolut nicht gerecht!

Die Trilogie ist sehr komplex, enthält mehrere Handlungsstränge, die besonders im dritten Teil erst auseinanderdriften, um dann in spannender Weise wieder zusammengeführt werden.

Es geht in His Dark Materials um Lyra Belacqua, die als Waisenkind im Oxforder Jordan-College aufwächst. Sie ist ein wildes und draufgängerisches Mädchen. Als ständigen Begleiter lernen wir gleich auf den ersten Seiten ihr Seelentier, ihren tierischen Berater Pantalaimon kennen. Jeder Mensch in dieser Welt hat solch einen Dֹæmon. Bei Kindern kann er seine Gestalt wechseln, bei Erwachsenen sind die Dæmonen nicht mehr wandelfähig. Mit den Dæmonen wird klar, dass Lyra nicht in unserer Welt lebt, sondern, dass es sich um eine fremde Welt handelt, die der unseren ähnlich, aber doch in einigen Dingen anders ist.
Als einzigen Verwandten hat Lyra ihren Onkel, Lord Asriel, der sie gelegentlich besucht und vom College bei seinen Forschungen unterstützt werden möchte. Bei diesen Forschungen geht es um Staub. Damit ist nicht der Hausstaub gemeint, sondern eine geheimnisvolle kosmische Substanz, die die Menschen umgibt und erst nach der Pubertät so richtig intensiv in Erscheinung tritt. Sie scheint irgendetwas mit der Erbsünde zu tun zu haben und wird von der sehr konservativen Kirche in Lyras Welt verteufelt.

Man kann leider keine Rezension schreiben ohne Details zu verraten. Bei der Komplexität der Trilogie wäre eine sehr kurze Fassung kaum verständlich. Daher habe ich mich entschlossen, so kurz wie möglich, aber doch hoffentlich verständlich zu schreiben, was in den einzelnen Bänden passiert. Viele Nebenhandlungen habe ich weggelassen und einiges nur kurz angerissen. Daher erhebt diese Inhaltsangabe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wer sich die Spannung aber komplett erhalten möchte, sollte ab hier nicht weiterlesen, sondern meinem Urteil vertrauen und sich schnellstens auf die Reise mit Lyra zu begeben. Es lohnt sich!

 

Zum Inhalt

Im ersten Teil Der Goldene Kompass (Northern Lights, 1995) wird Lyras Freund, der Küchenjunge Roger, von den geheimnisvollen Gobblern entführt. Sie macht sich auf die Suche nach ihm und anderen verschwundenen Kindern. Der Rektor des Jordan Colleges gibt Lyra heimlich ein Alethiometer, ein einem Kompass ähnliches geheimnisvolles Gerät.
Zuerst reist Lyra mit der scheinbar freundlichen aber im Inneren eiskalten Mrs Coulter nach London. Dort bemerkt Lyra, dass Mrs Coulter selbst etwas mit den Gobblern zu tun hat und flieht von ihr zu den Gyptern, dem Volk von Billy Costa, einem ebenfalls entführten Freund Lyras. Diese leben auf Hausbooten und ihre Anführer John Faa und Farder Coram versprechen Lyra, ihr bei ihrer Suche behilflich zu sein. Bei ihnen erfährt Lyra auch, dass ihre Eltern nicht tot, sondern Lord Asriel und Marisa Coulter sind.
Lyra lernt das Alethiometer zu lesen, welches ihr Antworten auf all ihre Fragen gibt.

Auf der Reise in den Norden trifft Lyra auf den Panzerbären Iorek Byrnison und den Aeronauten Lee Scoresby. Diese beiden stehen ihr durch alle drei Bände hindurch immer wieder bei, selbst als Lee tot ist hilft er ihr. Nachdem sie Iorek wieder zu seinem rechtmäßigem Platz unter seinesgleichen verholfen hat, begeben sich die Freunde nach Bolvangar. Dort sollen die Gobbler die gefangenen Kinder eingesperrt haben. Unterstützt werden die Abenteurer von den Hexen und einer ihrer Anführerinnen, Serafina Pekkala.
In Bolvangar angekommen findet Lyra Roger und die anderen entführten Kinder. Sie sollen alle durch Intercision, einer Art Guillotine, von ihren Dæmonen getrennt werden, damit sich der kosmische Staub nicht an ihnen festsetzen kann. Die Kirche hat dieses Verfahren in Auftrag gegeben, um den Staub und seine Wirkung einzudämmen Allerdings sterben alle Dæmonen und einige der Kinder bei der Prozedur. Lyra wird kurz vor ihrer Intercision von Mrs Coulter gerettet. Lyra traut ihr trotzdem nicht und flieht mit den anderen Kindern.

Mit Roger und Iorek begibt sich Lyra nun auf die Suche nach ihrem Vater Lord Asriel. Sie will ihm das Alethiometer bringen. Sie finden ihn auch in einer Festung nahe des Nordpols. Zu ihrem Entsetzen stellt Lyra fest, dass Asriel nicht das Alethiometer haben möchte, sondern das Leben eines Kindes braucht, um einen Zugang in eine andere Welt zu erschaffen. Seine Tochter will er nicht dafür opfern, aber Roger scheint ihm geeignet. Lyra kann Roger nicht retten, folgt aber ihrem Vater heimlich in die fremde Welt.

 

Im zweiten Teil Das magische Messer (The Subtle Knife 1997) lernen wir zuerst Will Parry kennen. Er lebt mit seiner kranken Mutter in unserer Welt und entdeckt durch Zufall ein Fenster in eine Parallelwelt. Dort, in der Stadt Cittàgazze, trifft er Lyra. Die Stadt ist fast menschenleer nur einige verstörte Kinder leben dort. Die Erwachsenen wurden von Gespenstern angegriffen und sind erstarrt oder tot. Gemeinsam gehen Lyra und Will durch das Fenster zurück in Wills Welt und versuchen etwas über Staub und Wills verschwundenen Vater, John Parry herauszufinden. Das Alethiometer führt sie zu Mary Malone einer Wissenschaftlerin die an Staub oder wie es in ihrer Welt heißt, Dunkler Materie forscht.
Will und Lyra treffen auf den geheimnisvollen Lord Boreal, den Lyra noch von früher aus ihrer Welt kennt. Er stiehlt das Alethiometer und will es nur gegen ein Magisches Messer aus Cittàgazze herausgeben. Unter abenteuerlichen Bedingungen ergattern Will und Lyra das Magische Messer mit dem man Fenster in fremde Welten schneiden kann und erobern auch das Alethiometer zurück. Will verliert dabei zwei Finger, wird dadurch aber zum rechtmäßigen Besitzer des Magischen Messers. Obwohl Will nun schwer verletzt ist, machen sich die beiden Kinder auf die Suche nach Wills Vater. Will findet ihn auch, aber sein Vater stirbt kurz darauf. Als Will wieder zum Treffpunkt mit Lyra zurückkommt, ist diese verschwunden. Nur ihr Rucksack mit dem Alethiometer ist noch dort.

 

Der dritte Teil Das Bernstein-Teleskop (The Amber Spyglass 2000) beginnt damit, dass Lyra von ihrer Mutter, Mrs Coulter, in einer Höhle gefangen gehalten wird. Sie hat Lyra mit einem Gift in einen tiefen Schlaf versetzt, weil sie weiß, das Lyra nicht freiwillig bei ihr bleiben würde. Die Vertreter der Kirche aus Lyras Welt wollen Lyra finden, da es eine Prophezeiung über sie gibt. Sie soll verantwortlich für einen erneuten Sündenfall werden, deshalb will die Kirche sie umbringen lassen.

Will trifft unterdessen auf die beiden Engel Balthamos und Baruch sowie den Panzerbären Iorek Byrnison, die ihm helfen Lyra zu finden. Er befreit sie mithilfe des Magischen Messers. Die beiden fliehen in eine weitere Parallelwelt. Begleitet werden sie dabei von den beiden Gallivespier-Spionen Chevalier Tialys und Lady Salmakia. Das sind Wesen, die auf Libellen reiten und nur eine Handbreit groß sind. Sie haben Giftstachel zu ihrer Verteidigung und stehen auf der Seite Lord Asriels. Sie sollen die Kinder zu ihm bringen. Tialys und Salmakia begleiten Lyra und Will vorher, auf deren Wunsch hin, jedoch noch in die Welt der Toten. Lyra will dort ihren Freund Roger um Verzeihung bitten, da sie sich für seinen Tod verantwortlich fühlt. Will möchte seinen Vater treffen.
Um in die Welt der Toten Einlass zu finden, müssen sich Lyra und Will, nach einigen anderen Schwierigkeiten, von ihren Dæmonen trennen. Auch wenn Will keinen sichtbaren Dæmon hat, spürt er den Schmerz, als er einen Teil von sich in der Welt der Lebenden zurücklassen muss. Die beiden finden Roger und John Parry und öffnen, nach langer und nervenaufreibender Reise, für die Toten ein Fenster in eine weitere Parallelwelt. Dorthin können diese hinübergehen, zu Staub werden und sich so wieder mit ihren Dæmonen vereinigen. Auch Will und Lyra verlassen die Totenwelt und suchen nun nach ihren verlassenen Dæmonen.

Pantalaimon und Wills inzwischen sichtbarer Dæmon befinden sich in der Nähe der Schlacht von Lord Asriel, der eine Republik des Himmels gründen will. Er hat dazu Krieger aus vielen Welt zu sich gerufen. Er muss als erstes den Engel Metatron besiegen, den Regenten des Allmächtigen. Der Allmächtige ist auch ein Engel. Nur eben schon sehr alt und nicht mehr in der Lage sein Reich zu regieren. Diese beiden leben im Wolkenberg. Es kommt zum Showdown zwischen Asriel und Metatron. Auch Marisa Coulter ist dabei und gemeinsam stürzen sie Metatron in einen Abgrund. Sie bezahlen dafür mit ihren Leben. All das in dem Glauben ihrer Tochter damit Zeit zu verschaffen, um zu überleben und vor der Kirche zu fliehen.

Zwischen diesen ganzen Geschehnissen erlebt man mit Mary Malone, der Forscherin, eine ganz andere, friedlichere Welt. Diese Welt, mit dem Fenster durch welches die Toten kommen und zu Staub aufgehen, ist bevölkert von den Mulefa. Dort heißt der Staub Sraf und es ist klar, dass er aus ihrer und auch aus allen Welten allmählich verschwindet. Mary baut sich ein Bernstein-Teleskop mit dem sie das Sraf sehen kann. Die Mulefa können das ohne Hilfsmittel. Sie forscht mit ihren primitiven Mitteln immer weiter. Eines Tages stehen Lyra und Will auf der Suche nach ihren Dæmonen vor ihr. Sie erklärt ihnen, was sie herausgefunden hat und dass alle Lebewesen untergehen werden, wenn der Staub gänzlich verschwunden sein wird. Die Kinder wandern auf ihrer Suche weiter, finden ihre Dæmonen und kommen zurück zu Mary und den Mulefa.

Lyra und Will hören von Mary noch eine weitere Geschichte aus deren Leben. Diese Liebesgeschichte bewegt die beiden so, dass sie sich bei einem Picknick am Meer ebenfalls ineinander verlieben.
Sie müssen nun von Mary erfahren, dass der Staub durch die unzähligen Fenster verschwindet, die im Laufe der Zeiten nicht wieder geschlossen wurden. Und, das jedes Mal beim Öffnen eines Fensters, ein neues Gespenst in Cittàgazze entsteht. Ebenso erfahren sie, dass die Menschen nur in ihrer eigenen Welt länger leben können. Das bedeutet, dass die beiden frisch verliebten ihr Leben nicht gemeinsam verbringen können, oder dass einer von beiden in der Welt des anderen nur wenige Jahre hat. Die Fenster müssen alle geschlossen werden, damit der Staub in der Welt bleibt, somit können sie nicht mehr hin- und herwandern. Nun stehen sie vor der schweren Entscheidung für eine kurze Zeit ihre Liebe zu leben, allerdings auf Kosten aller anderen Welten oder auf ihre Liebe zu verzichten und alle Welten zu retten!

Sie widerstehen der Versuchung, anders als Eva damals im Paradies und entgegen der Prophezeiung, und trennen sich schweren Herzens. Nachdem Will das letzte Fenster geschlossen hat, zerstört er das Magische Messer, damit niemals wieder ein Fenster geöffnet werden kann.

Lyra wird in ihrem Oxford wieder zur Schule gehen und Will macht sich in seiner Welt auf die Suche nach seiner Mutter. Mary wird ihn unterstützen und Serafina Pekkala ist für Lyra da.

 

Nach dem traurigen Ende musste ich lange über dieses Buch und seine Bedeutungen, die nicht immer sofort zu erkennen waren, nachdenken. Es hat auch etwas gedauert bis diese Rezension so war, wie sie nun ist und ich zufrieden war. Es ist eines der Bücher/Reihen, die ich in ansehbarer Zeit noch einmal lesen muss und ich vermute, dass ich noch ganz andere Aspekte darin finden werde.
Die Geschichte ist spannend, erfordert aber eine gewisse Portion an Aufmerksamkeit beim Lesen. Die verschiedenen Welten, die zahlreichen Personen und Namen müssen sich erst einmal einprägen. Aber die Charaktere sind sehr gut beschrieben, die Entwicklung von Lyra und Will von Kindern zu Erwachsenen verläuft schlüssig. Die Spannung wurde für mich dadurch immer erhalten, dass man bei einigen Personen nie wusste, sind sie gut oder böse. Auch welche Seite gut oder böse ist, war mir nicht immer klar. Vordergründig schon, aber ich hatte an einigen Zweifel. Manche haben sich bestätigt, andere nicht.
Es bleiben leider nach dem dritten Band noch einige Fragen offen. Zum Beispiel der Name des Magischen Messers, Æsahættr. Es bedeutet Gottesvernichter. Aber es wurde kein Gott damit vernichtet. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Einige Handlungsstränge wurden recht schnell zum Ende gebracht und haben dadurch etwas an Glaubwürdigkeit verloren. Was ist zum Beispiel aus Asrieles Republik des Himmels geworden? Wer übernimmt die Regentschaft nach dem Tod des Allmächtigen? Ist er wirklich Gott gewesen und wenn ja, wie kann seine Schöpfung nun weiterbestehen? Der Titel His Dark Materials, bedeutet ja eigentlich Seine dunkle Materie. Wessen Materie? Gottes Materie?
Nach mehr als 1400 Seiten hätte es sicher nichts geschadet, noch weitere Seiten für eine schlüssigere Auflösung zu verwenden.

Aber nun gut, so bleibt der eigenen Fantasie noch Raum.

Als Kinderbuch würde ich His Dark Materials nicht empfehlen, als Jugendbuch schon. Das liegt aber nicht an der vielzitierten Kirchenkritik, sondern an der Komplexität der Geschichte. Ich meine, ab 13 Jahren kann man das Buch getrost lesen. Auch die blutigen und gruseligen Stellen sind ab diesem Alter sicher kein Problem mehr.

Die Kirchenkritik finde ich nicht schlimm, schließlich ist auch die Kirche unserer Realität nicht ohne Kritik anzusehen. An einigen Stellen gab es aber Kritik am Glauben und Christentum an sich. Das war dann nicht so meins, aber es ist ja auch nur Fantasy, spielt in einer Parallelwelt und muss daher nicht so ernst genommen werden.

Heute denke ich, wenn Der Goldene Kompass von den Wachowski Geschwistern (Matrix, Cloud Atlas, Jupiter Ascending) verfilmt worden wäre, hätte es ein grandioser Erfolg werden können. Sie können sehr gut mit solch komplexen Geschichten und verwirrenden Handlungssträngen umgehen.

Von mir also 5 Sterne für eine außergewöhnliche Trilogie!

Nachtrag: Nach neuesten Informationen soll es eine weitere Trilogie über Lyra geben, der erste Band erscheint im Herbst 2017 auf Englisch.
Titel: The Book of Dust
Ich hoffe, dass darin einige der noch offenen Fragen geklärt werden. Ich bin sehr gespannt!

 

„His Dark Materials“ von Philip Pullman
Schuber vom Carlsen-Verlag, ISBN: 978-3551357205
1456 Seiten in drei Bänden, 19,99€