Anthologie
Herausgeber: Verein „Respekt für Dich – Autoren gegen Gewalt“

Taschenbuch
Erscheinungsjahr: 2016
280 Seiten
Preis: 11,90 €
ISBN: 978-3-903056572

Verlag: Karina Verlag, Wien

 

Diese Anthologie wurde vom Verein „Respekt für Dich – Autoren gegen Gewalt“ herausgebracht.  Die beteiligten Autorinnen und Autoren haben zugunsten der östereichischen  Gewaltopferhilfe auf ihr Honorar verzichtet.
Von mir findet ihr in diesem Buch einen Auszug aus meinem Roman „Avalons letzter Apfel“.

Im Roman „Avalons letzter Apfel“ geht es um die Priesterinnenausbildung auf der sagenumwobenen Insel der keltischen Mythologie – auf Avalon. Die Ausbildung von Luana, zur Priesterin der Großen Götting steht dabei im Vordergrund. Der Kapitelauszug in „Magisches und Mystisches“ beschreibt eine besondere Begebenheit bei der Luana an die Grenzen der Zeit gerät.

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Land ohne Zeit

Kurz vor Samhain bat Vivienne eines Abends um ein paar Galgantwurzeln, die nicht mehr in den Vorräten zu finden waren. Sie beschrieb Luana in etwa, wo sie diese finden konnte, und die junge Priesterin versprach, sich am nächsten Tag auf den Weg dorthin zu machen.
Gleich nach Sonnenaufgang begann sie ihre Wanderung. Sie folgte genau dem beschriebenen Weg. Aber irgendetwas war merkwürdig. Die Sonne schien keine Kraft zu haben und der Tag wollte nicht richtig beginnen.
Der Nebel auf dem See waberte nicht umher, sondern wirkte wie erstarrt. Zudem war sie noch müde, die Augen brannten und die Aufmerksamkeit fiel ihr schwer. Wurde sie etwa krank? Sobald sie zurück war, musste sie etwas ruhen, nahm sie sich fest vor.
Wie von fremder Hand geführt wandelte Luana auf dem schmalen Weg, der am Seeufer entlangführte. Leise plätscherten die Wellen über die dort liegenden Steine und verursachten durch ihr auf und ab ein monotones Geräusch. Der Nebel wurde spürbar dichter. Kaum konnte man noch ein paar Schritte voraus sehen. Die Herbstsonne drang immer schwerer durch den Nebel hindurch. Sollte sie umkehren? Nein, Vivienne hatte ihr eingeschärft, dass sie die Wurzel unbedingt heute noch bräuchte. Also weitergehen!
Die Luft wurde unangenehm feucht und kalt. Luanas Füße schienen den Weg zu kennen, denn ihre Augen hatten die Orientierung längst verloren. Nur manchmal meinte sie, der Nebel würde sich lichten. Dann konnte sie ein paar Schritte weit sehen und lief schneller voran. Der Weg machte nun eine Biegung. Plötzlich gewahrte Luana eine schemenhafte Gestalt, die an einen Baum gelehnt schien. Wer konnte das sein? Wer wagte sich noch an diesem unwirklichen Morgen vor die Tür? Oder war es etwa schon Mittag?
Die schattenhaften Umrisse des Fremden lösten sich vom Stamm und er kam auf die einsame Wanderin zu. Sie erschrak! Was nun? Fortlaufen?
Dann erkannte sie ihn!
Es war Ewan. Seit wann war er wieder zurück? Sie wollte erst fragen, aber aus irgendeinem Grund kam ihr kein Wort über die Lippen. Er blickte sie wie traumverloren an, sagte auch nichts, sondern fasste die junge Priesterin an der Hand und zog sie bestimmend hinter sich her. Diese verspürte grenzenloses Vertrauen zu dem Druiden und folgte ihm bereitwillig.
Gemeinsam folgten sie dem Pfad durch den Nebel, welcher kein Ende zu nehmen schien.
Wenig später hatte das Zeitgefühl Luana völlig verlassen. Mochten nun Minuten oder Tage vergangen sein, seit sie auf Ewan getroffen war – sie wusste es nicht. Der Druide sprach die ganze Zeit über kein einziges Wort. Auch die Priesterin schwieg. Es gab auch nichts zu sagen. Wo immer er sie hinführte,
es würde schon richtig sein! Sie fühlte, dass sie beide unter der vertrauten Macht der Göttin standen.
Nach Ewigkeiten des Wanderns meinte Luana endlich, ein Licht in der Ferne zu sehen. Sie drückte kurz Ewans Hand, und als der sich zu ihr umwandte, deutete sie auf die Lichterscheinung.
Er nickte unmerklich, da er es auch gesehen hatte. Dort war ihr Ziel, was auch immer es war!
Je näher die beiden kamen, desto mehr umgab sie dieses geheimnisvolle Licht. Ein leiser Gesang lag in der Luft und es duftete nach Maiglöckchen. Im Herbst eigentlich nicht möglich, aber – war es wirklich Herbst? Luana sah sich schlafwandlerisch um. Die Bäume trugen gleichzeitig Blüten und
Früchte. Manche Zweige lagen voller Schnee, andere setzten gerade zarte Knospen an. Welch merkwürdiges Land! …